Call for Papers – Raster, Regeln, Ratio

Zur GfDg-Jahrestagung mit dem Titel »Raster, Regeln, Ratio – Systematiken und Normierungen im Design des 20. Jahrhunderts« am 29. und 30. Oktober 2021 in Aachen gibt es einen Call for Papers mit Einreichungsschluss am 30. Mai 2021.

Die Frage, wie viel Regelwerk im Design nötig und sinnvoll ist, stellt sich seit über hundert Jahren. Denn übergreifende Absprachen und Baukastensysteme erlauben es, Artefakte kostengünstig herzustellen, ressourcenschonend zu produzieren und zu vertreiben, sie anschlussfähig zu machen und in ihre jeweiligen Kontexte einzubetten. Doch spätestens mit der Vorstellung der DIN 476 zur Vereinheitlichung von Papierformaten am 18. August 1922 erhob sich die Klage derjenigen, die mit den vordefinierten Formaten eine Einschränkung ihrer kreativen Freiheit verbanden. Ungeachtet dessen, dass die in Europa wohl bekannteste Norm einen großen Schritt in Richtung Übersichtlichkeit bedeutete, war neben der Freude vieler über das neue System auch von einer „Entpersönlichung“ des Lebens die Rede und von „Zwang“. Manche Betroffene behaupteten sogar, durch die Papierformatnormung würde der „künstlerische Sinn […] vergewaltigt“.(1) Solche Vorwürfe waren nicht neu. Bereits 1914 war innerhalb des Deutschen Werkbunds eine Auseinandersetzung entbrannt, welche die Vereinigung in zwei konträre Lager spaltete. Auf der einen Seite stand die Forderung nach Typisierung und Vereinheitlichung, auf der anderen Widerstand gegen jedwede Rationalisierung, weil man fürchtete, an Individualität einzubüßen und sich seriellen Fertigungsbedingungen unterwerfen zu müssen.

Trotz bedeutender Gegenbewegungen, die beinahe als symptomatische Begleiterscheinungen gelten dürfen, setzten sich Kanons, Regeln, Standards und Normen immer stärker durch und strukturierten zunehmend die gestalterische Arbeit. Nicht immer sind die Raster hinter den einzelnen Entwürfen auf den ersten Blick sichtbar – vielfach müssen sie zur designhistorischen Analyse erst einmal freigelegt werden. Manchmal begegnen den Designhistorikerinnen und -historikern Fälle, die eine strenge Verpflichtung auf ein Regelwerk suggerieren, bei einer detaillierten Untersuchung jedoch ein bemerkenswertes Abweichen offenbaren. Die Gründe hierfür sind vielfältig und häufig überraschend.

Bei Artefakten aus dem Umfeld von Mikroelektronik oder Programmierung führte die Standardisierung zu einer ganzen Landschaft an Zusatzprodukten und heterogenen Nutzungszusammenhängen – man denke nur an die Fülle unterschiedlicher Devices zur Strom- und Datenverbindung bei den iPods ab der dritten Generation. Auf der anderen Seite erschwerten tradierte Konventionen und Gewohnheiten notwendige Entwicklungen, obwohl ein Wechsel vom Individualprodukt zum System für alle gewinnbringend gewesen wäre. Zukünftig wird sich die durch Algorithmen und das maschinelle Lernen erzeugte Uniformität im „singulär“ erscheinenden Dienst oder Interface verstärkt in Bereiche des Unsichtbaren und Unbemerkten verlagern. Deshalb ist die designgeschichtliche Auseinandersetzung mit den Potenzialen und Erscheinungsweisen von Regelwerken sowie den Reaktionen dagegen gerade heute relevant.

Die Jahrestagung der Gesellschaft für Designgeschichte 2021 widmet sich den historischen Auswirkungen von Rastern, Regeln und Normierungen auf den Designprozess und die Artefaktewelt. Ebenso sind die Einflüsse auf die Nutzenden, gesellschaftliche Zusammenhänge und nachfolgende Entwicklungen von Interesse. Die Veranstaltung befasst sich sowohl mit den Einzelerscheinungen als auch mit ganzen Bewegungen, die aus rationalen Planungsbestrebungen hervorgingen und das daran anschließende Design nachhaltig prägten – sei es durch konsequente Fortführung eines Kanons oder die darauf folgenden Gegenreaktionen in Theorie und Entwurfspraxis. Erwünscht sind Beiträge, die Zusammenhänge zwischen dem Tagungsthema und der Disziplin Design herstellen. Regelwerke in Bezug auf die Erzeugnisse im Kommunikationsdesign, Interaktionsdesign, Textildesign und Produktdesign sollen offengelegt und reflektiert werden. Im zeitlichen Fokus steht das 20. Jahrhundert.

Gastgebendes Haus und Kooperationspartnerin im Jahr 2021 ist die FH Aachen. Als ausgewiesener Technologiestandort steht das akademische Zentrum der Stadt im Dreiländereck geradezu synonym für Standardisierung und rationales Planen. Doch auch aus kulturhistorischer Perspektive lässt sich Aachen als ein Ausgangspunkt für frühes Standardisierungs- und Vereinheitlichungsgeschehen anführen. So verbreitete sich etwa die karolingische Minuskel unter anderem von Aachen aus über das Einflussgebiet Karls des Großen. Über Zwischenschritte und Umwege wurde aus dieser Schrift schließlich die Grundlage der Kleinbuchstaben, wie sie gegenwärtig in der gesamten westlichen Welt vorherrschen.

Bitte senden Sie Ihr Abstract mit bis zu 3500 Zeichen, eine Kurzbiografie von maximal 800 Zeichen und Ihre Kontaktdaten bis zum 30. Mai 2021 an:

(1) Porstmann, Walter: DIN-Buch 1. Normformate. Berlin 1930, S. 122. Postmann, Walter: Papierformate. 2. Auflage. Berlin 1923, S. 22.

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Einreichungsfrist:  30. Mai 2021
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